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Das Metaverse – gehypte Blase oder Zukunftstechnologie?

Ein Beitrag von Achim Harhoff

Verfolgt man die Diskussionen zum Thema „Metaverse“ in den allgemeinen Medien, beziehen sie sich in der Regel auf die Monetarisierungsphantasien eines weltbekannten Social Media Anbieters und der Gaming Industrie. Aus Sicht der Consumer kann das Metaverse-Konzept kritisch betrachtet werden: Ob man private Zeit in virtuellen Räumen verbringen will, um als kunst- und fantasievoll gestalteter Avatar mit anderen Avataren und virtuellen Objekten zu interagieren, bleibt Jeder und Jedem selbst überlassen. Eine ganz andere Dynamik jedoch erlebt das Thema zurzeit im Enterprise-Bereich. Zwar ist der Begriff „Metaverse“ auch hier eher ein Buzzword, die grundlegenden digitalen Technologien jedoch beschleunigen die Transformation von Arbeitswelt, Forschung und Entwicklung in atemberaubender Weise. Das Konzept des digitalen Zwillings ist eines der zentralen Themen.

Abbildung 1: mit freundlicher Genehmigung durch David Hoeller, ETH Zürich

CAD Screenshot der vierbeinigen Roboter AnyMal auf unebenem Terrain

Was sind Digital Twins?

Bei diesem Begriff mögen viele Leser:innen an einen digitalen Zwilling ihrer selbst denken, der durch Social Media Metaversen geistert. Aber Digital Twin Technology meint etwas völlig anderes!

Die Gesellschaft für Informatik definiert den „digitalen Zwilling“ wie folgt: „Digitale Zwillinge sind digitale Repräsentanzen von Dingen aus der realen Welt. Sie beschreiben sowohl physische Objekte als auch nicht-physische Dinge wie zum Beispiel Dienste, indem sie alle relevanten Informationen und Dienste mittels einer einheitlichen Schnittstelle zur Verfügung stellen. Für den digitalen Zwilling ist es dabei unerheblich, ob das Gegenstück in der realen Welt schon existiert oder erst existieren wird.“[1]

Die Entwicklung des autonomen vierbeinigen Roboters AnyMAL an der ETH Zürich kann das Konzept eindrucksvoll verdeutlichen. Das Design sowie die Physik der technischen Komponenten wurden in CAD-Programmen entwickelt und definiert. Die Software für das maschinelle Lernen der sicheren autonomen Bewegung in schwieriger Umgebung erfolgte ebenfalls im virtuellen Raum. Unter physikalisch korrekt simulierten Bedingungen wurden tausende digitale Zwillinge von der künstlichen Intelligenz auf unebenem virtuellem Terrain gesteuert, wobei erfolgreiche Bewegungsmuster die künstliche Intelligenz optimierten. Durch dieses massive parallele Lernen kann die steuernde künstliche Intelligenz innerhalb von Minuten trainiert werden.

In ähnlicher Form wird auch künstliche Intelligenz für autonomes Fahren und Fliegen in virtuellen Verkehrsnetzen unter Simulation verschiedenster Wetter- und Sichtbedingungen (z. B. regennasse Fahrbahn bei Dunkelfahrt) trainiert.

Abbildung 2: "Windkanal" in Blender 3D; rote Partikel sind langsam, blaue Partikel schnell. Der Grenadierfisch ist sichtbar stromlinienförmiger als der Würfel. Blendfile modifiziert nach Design Arts Department: https://www.youtube.com/watch?v=zLwySPw8GdA

Digital Twin Technology ist essenziell: 3D-Produktdesigns werden in virtuellen „Räumen“ entlang physikalischer Simulationen optimiert. Produktpräsentationen im virtuellen Raum werden möglich, bevor ein reales Objekt produziert wird. Ganze Produktionsstätten, Warenlager, Kraftwerke, Windparks, sogar Städte werden virtualisiert, um Produktions- und Prozessabläufe mittels KI-gestützter Simulationen zu optimieren und verlässliche Voraussagen zu systemimmanenten Aspekten wie Wartung, Energieverbrauch, Verläufen usw. machen zu können. Telekommunikationsfirmen beispielsweise planen und optimieren in virtuellen Städten mit Hilfe von physikalischen Simulationen die optimale 5G-Ausleuchtung.

Wissenschaft und Technikfirmen machen hier nicht halt: Unser blauer Planet soll einen detaillierten digitalen Zwilling erhalten, der konstant über Messdaten aktualisiert wird, um Klimaentwicklungen, auch politische Entscheidungen einrechnend, per Simulation vorhersagen zu können. Ein erster spektakulärer Proof-of-Concept gelang einem Team mit der simulierten Rekonstruktion des berühmten Blue Marble Fotos vom 07.12.1972 entlang von Wetterdaten vom 05.12.1972. Trotz einer eher geringen Menge an Wetterdaten aus der Zeit kam die Simulation dem realen Status Quo sehr nahe und visualisierte somit auch die Genauigkeit und Verlässlichkeit der eingesetzten Klimamodelle.

Der komplexe Bereich der Medizintechnik (Medical Imaging, Robotik in der Chirurgie…) und auch Medikamentenentwicklung mit Hilfe von 3D-Technologie sei hier nur noch erwähnt.

[1] https://gi.de/informatiklexikon/digitaler-zwilling/

Abbildung eines Windkanals in 3d Software Blender

Die Bildung ist gefordert

Der virtuelle Raum ist auf dem Weg, das Zentrum der Forschung, Entwicklung und auch Wertschöpfung zu werden. Eine Gesellschaft, die weiß, virtuelle Welten zu gestalten, zu nutzen und zu vermarkten, kann ihren Wohlstand sichern. In einem Artikel zur Davos-Agenda 2022 heißt es auf der Website des Weltwirtschaftsforums:[2]

„Viele manuelle Tätigkeiten im alten Stil verschwinden und werden durch hochtechnisierte, höher qualifizierte (und oft auch besser bezahlte) Arbeitsplätze ersetzt, die es vor einem Jahrzehnt noch nicht einmal gab.

Für manche ist dies verständlicherweise beängstigend. Deshalb müssen die Regierungen dafür sorgen, dass die Bildungssysteme auf die Förderung der für das nächste Zeitalter der Automatisierung erforderlichen Fähigkeiten ausgerichtet sind.“ (original: Englisch)

Diese Bildungsaspekte und entsprechende Bildungsinitiativen werden in einem folgenden Artikel beleuchtet.

[2] https://www.weforum.org/agenda/2022/01/industrial-automation-matters

 

Weiterführende Info-Tipps:

 

Projekt „Blue Marble“ des Max-Planck-Instituts für Meteorologie

https://mpimet.mpg.de/kommunikation/aktuelles/single-news/page?tx_news_pi1%5Bnews%5D=1648&cHash=f051b796251535976ab2ea96d7fb3be9

 

Ein kurzes Übersichtsvideo zum Thema Digital Twin

https://youtu.be/iVS-AuSjpOQ

 

Artikel „Siemens und Nvidia wollen gemeinsam ein industrielles Metaversum erschließen“

https://www.digital-engineering-magazin.de/siemens-und-nvidia-wollen-gemeinsam-ein-industrielles-metaversum-erschliessen/

 

Alphafold – KI errechnet die dreidimensionalen Strukturen von Proteinen mit hoher Genauigkeit

https://www.n-tv.de/wissen/Wissenschaftlicher-Durchbruch-2021-gekuert-article23003559.html

 

Artikel „How Ericsson is using Omniverse to simulate 5G network reception in a city”

https://venturebeat.com/consumer/how-ericsson-is-using-omniverse-to-simulate-5g-network-reception-in-a-city/

 

Ein digitaler Zwilling des deutschen Schienennetzes

https://digitale-schiene-deutschland.de/aktuelles/Digitaler-Zwilling

 

Öffentliche Anhörung zum Thema Web3 und Metaverse des Ausschusses für Digitales vom 14.12.2022; hier vor allem die Ausführungen von Dr. Sebastian Klöß, Prof. Dr. Philipp Rauschnabel und Ludwig Siegele als Experten für Metaverse-Technologie und -ökonomie

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-pa-digitales-925124

Abbildung des originalen Blue Marble Fotos der NASA. Die blaue Erde vor dem schwarzen Raum.