Im Fokus Online - Neues aus dem LWL-Medienzentrum für Westfalen
Neu im Bildarchiv
Die Sammlung Schnitkemper
Die sogenannte Sammlung Schnitkemper dokumentiert die Kriegszerstörung und den Wiederaufbau in Westfalen und im Rheinland. Die frühesten Aufnahmen sind vermutlich um 1946 entstanden, die letzten Aufnahmen etwa 1949. Der Bestand besteht komplett aus Kleinbildnegativen, durchweg dem Markenprodukt AGFA Isopane F aus Cellulose Nitrat. Es liegen 258 gerollte, unzerschnittene Negativstreifen mit je etwa 20 bis 40 Aufnahmen sowie noch einige hundert Aufnahmen auf geschnittenen Negativstreifen zu je sechs Aufnahmen vor.
Die Sammlung wurde bereits 1995 angekauft und gesichert. Leider existierte zu den Negativen keinerlei Begleitmaterial. Es gab somit weder eine Verzeichnung noch Hinweise, was auf den einzelnen Aufnahmen zu sehen ist und vor allem, wo die Aufnahmen zu verorten sind. Auch zum Urheber und zum genauen Entstehungszeitraum fehlen jegliche Angaben. Bekannt war lediglich, dass es sich zum größten Teil um Stereofotografie handele und Städte wie Köln und Münster abgelichtet sein sollten.
Die Stereofotografie ist ein Verfahren zur Wiedergabe von Bildern, die mithilfe eines Betrachtungsgerätes einen räumlichen Eindruck von Tiefe erwecken. Bei diesem Verfahren verfügt die Kamera über zwei Objektive, wodurch zwei Aufnahmen desselben Motivs zeitgleich erstellt werden. Dieses spezielle Verfahren erlebte seine Höhepunkte allerdings im 19. Jahrhundert und war nach dem Ersten Weltkrieg nur noch selten anzutreffen. Insofern verwundert es ein wenig, warum zur Erstellung der Fotos der kriegszerstörten Städte nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigentlich längt überholte Technik verwendet wurde. Mit Unterstützung der Irene und Sigurd Greven Stiftung in Köln wurden die Negative vollständig digitalisiert. Bei den dann vorliegenden knapp zehntausend Digitalisaten mussten im Anschluss die Stereo-Paare identifiziert und digital zusammengefügt werden, was umso komplizierter war, da durchaus auch Einzelaufnahmen auf den Filmen vorlagen. Im Ergebnis waren 96% der Aufnahmen Stereo-Paare.
Die ausschließliche Identifizierung über den Bildinhalt stellte bei der Erschließung die größte Hürde dar. Erleichtert wurde die Aufgabe dadurch, dass die Negative zum größten Teil nicht zerschnitten worden waren. Es handelt sich immer um eine Reihe von Aufnahmen, die mehrere nebeneinander liegende Gebäude, Straßenabschnitte oder Panoramaaufnahmen zeigen, d.h. die Motive sind stets in räumlicher Nähe oder direkt daran anschließend aufgenommen worden. Wenn also eine Aufnahme auf einem der langen Negativstreifen klar identifiziert werden konnte, hatte man gute Chancen auch die restlichen Bilder zuordnen zu können.
Ohne den Einsatz von online verfügbaren Karten und vor allem den Abgleich mit bereits im Internet vorhandenen Bildmaterial wäre die Identifizierung nicht möglich gewesen. Durch die digitale Begehung der einzelnen Straßen aus der heutigen Perspektive war eine rasche Verortung möglich. Mit diesem arbeitsintensiven Vorgehen konnten 98 Prozent der Aufnahmen klar in den Städten Münster, Recklinghausen und Köln verortet werden. Teilweise konnten Gebäude und Straßen bis auf die Hausnummer genau zugeordnet werden, bei Teilbeständen kann zumindest angegeben werden, in welchem Stadtteil oder in der Umgebung welcher Straße die Aufnahmen vermutlich aufgenommen worden sind.
Die Datierung der Aufnahmen gestaltet sich schwierig, da der Fotograf, oder auch vielleicht die Fotografin, jeden der Orte mehrfach zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgesucht hat. Die frühesten Aufnahmen werden wohl um 1946 entstanden sein. Auf diesen frühen Fotos sind nur wenige Menschen zu sehen und die Trümmer in den Städten sind noch nicht geräumt, es existieren nur schmale Pfade zwischen den Ruinen. Auf den späteren Bildern schreitet der Wiederaufbau voran, die Straßen sind geräumt, Rohbauten entstehen, Läden öffnen, Menschen sind auf den Straßen unterwegs. Die letzten Aufnahmen, vermutlich im Spätsommer 1949 entstanden, strahlen eine Aufbruchsstimmung aus. Diese späten Motive bilden einen starken Kontrast zu den frühen Aufnahmen mit den fast leblosen Trümmerwüsten.
Spannend wird es sein, die vielen noch offenen Fragen zu klären. Gerne würden wir herausfinden, wer in wessen Auftrag die Aufnahmen gefertigt hat. Gerade für den Zeitraum vor der Währungsreform in der Nachkriegszeit war Negativmaterial nur schwer zu bekommen und auch nach der Währungsreform noch sehr teuer. Trotz der allgemeinen Knappheit wurden für die Dokumentation hunderte Filme beschafft. Auch, dass für dieses fotografische Langzeitprojekt ausschließlich mit AGFA Isopane F gearbeitet wurde, ist interessant. Letztlich stellt sich die Frage, warum die Dokumentation mittels Stereofotografie umgesetzt worden ist, da auch einfache Aufnahmen grundsätzlich ausgereicht hätten, um die Schäden und den Wiederaufbau festzuhalten und dabei wesentlich weniger Material benötigt worden wäre.
Die Aufnahmen sind nun im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums und auch im Greven Archiv Digital der gemeinnützigen Irene und Sigurd Greven Stiftung online verfügbar. Durch die Veröffentlichung der Sammlung erhoffen wir uns weitere Hinweise zu noch unvollständig dokumentierten Bildern und den noch offenen Fragen. In der Datenbank des LWL-Medienzentrums können über den Button „Nachricht an das Bildarchiv“ unterhalb eines jeden Bildes ganz unkompliziert weiterführende Informationen mitgeteilt werden.
Für die Abbildungen im vorliegenden Beitrag wurden die Stereos in der Regel getrennt und ist somit nur eine Hälfte zu sehen. Ohne Betrachtungsgerät stellt sich der gewünschte Effekt nicht ein und die Doppelung bietet keinen Mehrwert an Informationen. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner studentischen Volontärin Lea Recken, die einen Großteil der mühsamen Identifizierungsarbeit geleistet hat!
Diese und weitere Sammlungen finden Sie unter: Bildarchiv für Westfalen