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Mit Filmen die Demokratie stärken
Mit Filmen die Demokratie stärken - Tipps von FILM+SCHULE NRW
Wie ein Fremdkörper hebt sich die Frau in Purpur von der Menschenmasse ab. Über ihre Schulter schauen wir nach unten auf ein homogenes Feld aus Erd- und Pastelltönen und besorgte Gesichter. Wie die Machtverhältnisse zwischen den Figuren aussehen, wer hier die Kontrolle hat und buchstäblich über den anderen steht, wird in dieser Szene durch Kameraeinstellungen und Mise en Scène, also der räumlichen Gestaltung, deutlich, auch ohne den Dialog zu hören.
Wer den Film „Die Tribute von Panem“ kennt, weiß, wie es weitergeht. Die Frau in Purpur repräsentiert das Kapitol, das über die 12 Distrikte herrscht, in die das Amerika der Filmzukunft eingeteilt worden ist. Die Protagonistin Katniss Everdeen stammt aus Distrikt 12, dem ärmsten und am weitesten vom Kapitol entferntesten Distrikt. Im Laufe der Handlung wird sie sich der Regierung widersetzen und dabei gerade so mit dem Leben davonkommen.
Vor dieser Kulisse eines totalitären Staates bietet der Film eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für die Demokratiebildung im Unterricht. Staatsformen und Herrschaftssysteme können gegenübergestellt und Machtstrukturen nachverfolgt werden. Einen wichtigen Beitrag für diese Diskussionen leistet die Analyse der filmsprachlichen Mittel, was Schwerpunkt des Workshops von FILM+SCHULE NRW zu „Die Tribute von Panem“ am 24. Februar 2025 im Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) in Hagen war.
Das ZfsL hatte FILM+SCHULE NRW eingeladen, rund 80 Seminarleiterinnen und -leitern einen Workshoptag lang die Bedeutung von bewegten Bildern für die Demokratiebildung zu verdeutlichen. Der Vormittag startete mit einem Überblick über Grundlagen der Filmsprache, die anhand von Filmen aus dem Label Ausgezeichnet! von FILM+SCHULE NRW besprochen wurden. Neben „Die Tribute von Panem“ wurden auch Szenen aus „Ernest und Célestine“ und „Kippa“ analysiert, ersterer über die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Bären und einer Maus, letzterer über einen Jungen, der in der Schule bedroht wird, als seine Mitschüler:innen erfahren, dass er jüdisch ist.
Ziel des Workshoptags war es, den Seminarausbilder:innen die Relevanz von Filmbildung im Unterricht und insbesondere für die Demokratiebildung zu verdeutlichen, denn filmische Mittel beeinflussen, manipulieren und verändern unsere Wahrnehmung. Deshalb ist es essenziell, dass Schüler:innen die Grundlagen der Filmsprache lesen lernen und die Wirkung bewegter Bilder kritisch einordnen können.
Die am 24. Februar in Hagen vorgestellten Filme bieten nur einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten von Filmen zur Demokratiebildung. Sie dienen als Spiegel der Gesellschaft, wenn sie unterschiedliche Perspektiven und Lebenswelten darstellen oder historische Ereignisse greifbar machen. Sie fördern Empathie, indem sie Zugänge zu Kulturen und Meinungen schaffen und dazu anregen, über gesellschaftliche und politische Themen zu sprechen. Und nicht zuletzt schulen sie auch das kritische Denken durch die Analyse und das Hinterfragen von Narrativen.
Mit dem Label Ausgezeichnet! stellt FILM+SCHULE NRW allen Lehrkräften in NRW kostenlos unterschiedliche Filme zur Verfügung, die sich für den Einsatz im Fachunterricht von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II eignen, nicht zuletzt für die Demokratiebildung. Diese Filme sind über die Bildungsmediathek NRW als Stream oder zum Download abrufbar und die meisten werden durch zugehöriges Unterrichtsmaterial inklusive didaktischer Kommentare und Lehrplananbindungen begleitet, sodass sich passende Unterrichtsreihen planen und umsetzen lassen.
Aber Demokratiebildung mit Filmen in der Schule beschränkt sich nicht nur auf Spiel- und Dokumentarfilme, denn insbesondere mit Videos auf Social Media umgeben sich Jugendliche Tag für Tag. Dort wird ebenfalls bewusst mit Filmsprache gearbeitet: Perspektive und Kameraführung werden genutzt, um Nähe herzustellen, Musik als Stimmungsträger, Requisiten, um Assoziationen hervorzurufen, Farben und Licht für eine bestimmte Atmosphäre und Schnitt und Montage halten die Aufmerksamkeit der Zuschauer:innen hoch.
Auch darum ging es am 24. Februar in Hagen in einem Vortrag zum Thema Desinformationen und Fake News sowie zwei entsprechenden Workshops. Einer davon mit der Fragestellung „Ist das schon Extremismus?“, der andere mit einem Fokus auf aktuellen Trends in den sozialen Medien. Alle drei kamen zu dem Ergebnis, dass sich politische Ausrichtungen auf Social Media häufig nicht offen zeigen, sondern in Andeutungen und Inszenierungen versteckt werden. Da sind zum Beispiel die „Tradwives“, die mit frisch gewaschener Schürze und einem Kind auf dem Arm am Herd stehen oder im Cocktailkleid den Frühstückstisch dekorieren. Die Szenen wirken entspannt und familiär, eine Atmosphäre, die durch weiches Licht, warme Farben und ruhige Hintergrundmusik entsteht. Was als Betonung von Familienwerten gesehen werden kann, vermittelt allerdings gleichzeitig traditionelle Geschlechterrollen, inszeniert als Familienidylle, in der das Eheleben immer harmonisch verläuft, es keine Geldsorgen gibt und genug Zeit bleibt, jede Mahlzeit hübsch anzurichten.
Auf der anderen Seite stehen selbsternannte „Alpha Males“ – zumeist Coaches, die im Vlogging-Stil ihren Zuschauern zeigen, was angeblich einen „echten Mann“ ausmacht. Selbstbewusst und mit geradem Blick zur Kamera betonen sie Dominanz, Erfolg und Genügsamkeit, Fitness und Wohlstand. Diese scheinbare Selbstverbesserung favorisiert jedoch ein enges Bild von Männlichkeit mit wenig Fokus auf Empathie, emotionaler Intelligenz und Gleichberechtigung. Und natürlich gibt es auch Influencer:innen, die offen ihre politische Meinung verbreiten. Auch sie wissen sich über Kameraeinstellungen, Musik und Farbgebung zu inszenieren und wirken sympathisch und vertrauenerweckend. Welche politischen Botschaften dabei vermittelt werden, erscheint für das Publikum zunächst sekundär.
Die Mechanismen dieser Manipulation kennenzulernen, um sich davor zu schützen, ist Aufgabe von Filmbildung im Unterricht. Umgekehrt bietet der Film aber auch die Chance, gegen genau solche Mechanismen anzugehen. Denn als Kultur- und Kommunikationsmedium transportieren Filme Werte und Ideologien und beeinflussen so letztendlich die Meinungsbildung einer gesamten Gesellschaft. Mit Veranstaltungen wie unserem Workshoptag am ZfsL Hagen kann so nachhaltig Demokratiebildung in der Schule geleistet werden.
Folgende Filme aus dem Label Ausgezeichnet! seien unter den Überbegriffen der Demokratiebildung und diversitätssensiblen Bildung besonders empfohlen:
Themenschwerpunkt | Filme |
---|---|
Toleranz und ungewöhnliche Freundschaften |
Contra, Der Indianer, Ernest & Célestine, Rico, Oskar und die Tieferschatten, Schon gehört?, Zoomania |
Menschen mit Behinderung |
Felix, Renn wenn du kannst, Vincent will Meer |
Migration |
Dokumentarfilmedition „Ich bin jetzt hier!“ , Die Piroge, Lippels Traum |
Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen |
Billy Elliot, Die Mitte der Welt, Kokon, Merida, Pride |
(institutioneller) Rassismus, Polizeigewalt und Black Lives Matter |
Die Solistinnen, Dọlápọ̀ is fine, I Am Not Your Negro, The Hate U Give |
Rassismus und Antisemitismus |
Die Unsichtbaren – Wir wollen leben, Kaddisch für einen Freund, Kippa, Leroy, Masel Tov Cocktail |
Autokratie |
Die Tribute von Panem, Die Welle |