Im Fokus Online - Neues aus dem LWL-Medienzentrum für Westfalen
Ein Blick ins versunkene Tal
Neuzugang im Bildarchiv – Die Sammlung Dietrich dokumentiert den Bau der Biggetalsperre
Kaum ein Bauprojekt hat das Sauerland so tiefgreifend verändert wie der Bau von Talsperren mit ihren gewaltigen Staumauern. Zwischen 1956 und 1965 entstand im südlichen Kreis Olpe ein ausgedehnter Stausee – verbunden mit massiven landschaftlichen Eingriffen, dem Verlust ganzer Ortschaften und dem Neubau wesentlicher Verkehrsachsen. Einen fotografischen Zugang zu dieser Zeit bietet die nun ins Bildarchiv aufgenommene Sammlung Dietrich. Sie umfasst rund 330 Aufnahmen aus den Jahren des Talsperrenbaus und wurde dem LWL-Medienzentrum für Westfalen von dem Sammler und Heimatforscher Hans-Werner Scharioth aus Neu-Listernohl bei Attendorn übergeben.
Fotograf der Bilder war der Ingenieur Richard Dietrich. Geboren in Heggen und beruflich als Sicherheitsfachmann bei Mannesmann Thyssen tätig, hielt Dietrich in den 1950er- und 1960er-Jahren das Baugeschehen an der Biggetalsperre mit der Kamera fest. Durch seine Anstellung bei einer der ausführenden Firmen konnte er sich anscheinend relativ ungehindert auf den diversen Baustellen bewegen. Zunächst offenbar nur für private Zwecke gedacht, sind diese Fotos heute ein eindrucksvolles Zeitdokument. Seine Aufnahmen zeigen nicht nur Baustellen und Maschinen, sondern auch die tiefgreifende Veränderung einer ganzen Region.
Monumentale Eingriffe
Die Biggetalsperre war eines der größten wasserwirtschaftlichen Projekte der Nachkriegszeit. Über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren entstanden nicht nur die Hauptstaumauer und mehrere Nebendämme, sondern auch unterirdische Wasserleitungen, Wasserentnahmetürme und ein weitreichendes System zur Umlenkung von Flüssen und Bächen. Bestehende Verkehrswege mussten weichen – so auch die Bahnstrecke Olpe–Finnentrop, die vollständig neuverlegt wurde. Neue Brücken, Tunnel und Straßen entstanden – ein landschaftsbauliches Großprojekt.
Die Fotografien der Sammlung dokumentieren dieses Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie zeigen große Erdbewegungen, das Aufschütten ganzer Böschungen, den Bau gewaltiger Widerlager, Brückenpfeiler und die Errichtung neuer Verkehrswege. Besonders eindrucksvoll: die beiden Doppelstockbrücken im Lister- und Dumicketal, auf denen Bahn und Straße in zwei Etagen das Tal queren. Ebenso gibt es interessante Aufnahmen des angrenzenden Erbscheidtunnels. Ein wiederkehrendes Motiv ist auch der sogenannte Kraghammer Sattel, ein Geländerücken, über den heute die L 512 verläuft und der durch massive Einschnitte für die neue Straßenführung angepasst wurde.
Landschaft im Wandel
Die Sammlung zeigt aber nicht nur die Baustellen selbst, sondern auch das Biggetal vor Baubeginn – mit Dörfern, Straßen, Fachwerkhäusern, Kapellen, Bahnhöfen und landwirtschaftlichen Strukturen. Besonders eindrücklich ist die Aufnahme des Straßendamms bei Sondern mit integriertem Brückenbauwerk, das heute die Stader Straße trägt. Viele der Orte existieren heute nicht mehr. Orte wie Listernohl, Ronnewinkel, Stade oder Eichhagen mussten dem See weichen. Um Erinnerungsorte zu bewahren, wurde zum Beispiel die Waldenburger Kapelle abgetragen und oberhalb des neuen Sees wieder aufgebaut.
Zugang zur Sammlung
Die Aufnahmen wurden digitalisiert, und wo nötig digital restauriert. Der Bildbestand ist nun erschlossen und dokumentiert über das Portal www.bildarchiv-westfalen.lwl.org zugänglich. Dieser ergänzt die dort bereits vorhandenen Fotos zum Bau der Talsperre. Die Fotografien decken den gesamten Bereich des späteren Biggesees ab – von Attendorn über Neu-Listernohl und das Westufer mit seinen Brücken- und Straßenbauwerken bis nach Olpe. Zu sehen sind neben der Technik auch die Menschen hinter dem Bau: Bauarbeiter, Vermesser, Zuschauer – eingebunden in ein Projekt, dass das Gesicht der Region dauerhaft verändert hat. Für viele Menschen mit Bezug zum „versunkenen Tal“ eröffnen sie so einen neuen Zugang zur Geschichte ihrer Heimat.
Weitere Themen und Sammlungen finden Sie im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums: www.bildarchiv-westfalen.lwl.org